Radeln lernen dürfen, aber nicht müssen (VSF-Zeitschrift abfahren 02/2002)

Text: Wolfgang WagenerVSF - Zeitschrift abfahren 02/2002

In Bonn gibt es eine ganz besondere Fahrradschule für Kinder

»Viele Kinder leiden heute unter Bewegungsarmut, sind mit ihrem Körper und ihrer Motorik kaum vertraut. Das macht sie nervös und zappelig, führt später oft zu konzentrations- und Lernschwächen. Um sich auf dem Rad sicher zu fühlen, müssen sie zunächst ihr Bewegungsgefühl entwickeln. Fange ich da gleich mit dem Radfahren an, überspringe ich ein paar wichtige Entwicklungsschritte. Die Kinder können dann zwar fahren - aber sicher und souverän im Umgang mit dem Rad und der Situation werden sie nie. Dazu fehlt das Fundament.« Das will Lilo Franzen in ihrer Fahrradschule für Kinder legen, die sie 1996 gegründet hat. Zuerst Bewegen lernen; dann Radfahren lernen - so könnte man das Konzept der Bonner Bewegungstherapeutin zusammenfassen.

Im Fahrradgeschäft ihres Mannes hat Lilo Franzen oft beobachtet, wie schlecht Eltern den Entwicklungsstand ihrer Kinder einschätzen. »Sie verfangen das Falsche: Ein viel zu großes Rad - oder Stützräder, mit denen die Kindern nur Wackeln lernen, aber nicht die Balance. Die Eltern überfordern die Kinder, setzen sie manchmal richtig unter Leistungsdruck. Ein Tretroller wäre in dieser Entwicklungsphase angemessener, aber der wird aus Kostengründen oft übersprungen.«

Fährt das Rad mit dem Kind oder das Kind mit dem Rad? Viele Kinder kommen zwar irgendwie mit dem Rad klar. Aber so richtig sicher im Sattel sind sie nicht. Wenn es wacklig und verkrampft aussieht, liegt das nicht immer nur am falsch angepassten Rad. Sondern, so Lilo Franzen, an mangelndem Körper- und Bewegungsgefühl.

Tretroller sind denn auch beliebtes Vehikel in den Kursen von Lilo Franzen. Leistungsdruck gibt es nicht. »Ich hab’s schon mit Pedalen gelernt«, bekundet stolz ein kleines Mädchen. Ein etwa gleichaltriger Junge kurvt glückstrahlend mit dem Roller um einen Parcours aus Milchtüten. Dass er in dem dreitägigen Kurs noch nicht »mit Pedalen« gelernt hat, bekümmert ihn keineswegs. »Für ihn ist der Roller im Moment das Richtige«, meint Lila Franzen. Stimmt offensichtlich: »Macht Spaß«, meint der Knirps - und düst gleich weiter. Radfahren lernen dürfen, aber nicht müssen, heißt die Devise. »Manche Kinder müssen erst vieles an Bewegungskoordination, Gleichgewichtsgefühl und Motorik nachholen, bevor sie mit Spaß Rad fahren lernen können«, meint Lilo Franzen. Wahrnehmung und Geschicklichkeit werden in den Kursen spielerisch trainiert. Bei etwas älteren Kindern zum Beispiel mit »'Turnieren«, bei denen ein Ring über eine Stange geworfen werden muss. Maximal acht Kinder nimmt Lilo Franzen pro Kurs auf, Und sie lernen mehr als »nur« Roller oder Rad fahren: »Je besser man mit sich und seinem Körper klarkommt, um so besser kommt man mit anderen klar.«