In sieben Schritten rauf aufs Rad (Trekkingbike 05/2008)

Foto: Daniel Simon

Text: Angelika Urbach
Presseartikel Trekkingbike 05/2008

RADFAHREN LERNEN

ANTRITT

Kleine Meister fallen nicht vom Himmel – sondern oft auf die Nase. Das fördert sogar den Lernprozess, sagen Experten. Weitere Tipps für einen guten Start gibt unser Foto-Guide: in sieben Schritten rauf aufs Rad.

Radfahren ist eine komplexe Sache. Es erfordert die Koordination von Lenken, Treten, Bremsen und die Umgebung beachten. Und dabei müssen kleine Anfänger doch erst mal lernen, auf zwei wackeligen Rädern das Gleichgewicht zu halten. Gut, wenn sich Eltern bei den ersten Versuchen in Gelassenheit üben. „Für Kinder, die einige Zeit auf einem Roller oder Laufrad trainieren konnten, ist der Übergang zum Fahrrad meist ein Kinderspiel“, sagt Lilo Franzen, Inhaberin der Bonner Fahrradschule für Kinder. Ohne Druck, aber mit doppelt viel Spaß und Begeisterung, fällt der Anfang gar nicht so schwer. Was Eltern dazu beisteuern können, sagt unser Foto-Guide auf der folgenden Seite.

LESER-FRAGE

KARIN MEIER aus Merching

„Meine Tochter Hanna (4) hat von ihrer Tante ein Rad mit Stützrädern geschenkt bekommen. Stimmt es, dass Kinder damit schlechter Radfahren lernen?“

Lilo Franzen: „Ja. Auf einem Fahrrad mit Stützrädern kann Ihre Tochter meist nur in schiefer Haltung fahren. Das fördert dann eine falsche undandere Motorik als sie das eigentliche Radfahren erfordert: Kinder können dabei kein stabiles Körpergefühl und keinen zuverlässigen Gleichgewichtssinn ausbilden. Wer zunächst mit Stützrädern gefahren ist, tut sich später beim Radfahren lernen oft besonders schwer. Denn die Kleinen speichern jede Bewegungserfahrung als Information im Gehirn. Werden dann die Stützräder abmontiert, müssen die Kinder erst alte Nervenverbindungen im Gehirn lösen und diese durch neue ersetzen.“

TIPPS FÜR ELTERN

LILO FRANZEN, Gründerin der Ganzheitlichen Entwicklungs-, Bewegungs- und Lernförderung und Inhaberin der Bonner Fahrradschule für Kinder

DIE RICHTIGE VORBEREITUNG Kinder lernen am besten durch Ausprobieren im freien Spiel – und nicht durch starre Anweisungen. Gut, wenn Jungen und Mädchen Anfängerfahrzeuge wie Dreirad, Laufrad und Roller benutzen können. Sie trainieren unterschiedliche Fähigkeiten: lenken, treten, das Gleichgewicht halten und ein Gefühl für Geschwindigkeit entwickeln. Tipp: Eltern müssen nicht alles selbst kaufen. Besitzt ein Nachbarskind bereits einen Roller? Dann lohnt sich z. B. die Anschaffung eines Laufrads zum Tauschen.

DER RICHTIGE ZEITPUNKT Manche Eltern übersehen, dass das Radfahren sehr komplexe Anforderungen an die motorischen Fähigkeiten stellt. Anstatt einen Altersvergleich zu anderen Kindern anzustellen, sollte deshalb die individuelle Entwicklung im Vordergrund stehen. Ein gutes Merkmal: Fährt mein Kind bereits sehr sicher Roller und Laufrad? Zeigt es Interesse am Fahrrad? Dann ist der richtige Zeitpunkt gekommen.

DER RICHTIGE ORT Für die ersten Versuche eignet sich eine verkehrsfreie und ebene Fläche: z. B. ein leerer Parkplatz am Wochenende, ein verlassener Schulhof am Nachmittag oder aber ein befestigter Waldweg.

DIE RICHTIGE AUSRÜSTUNG Klar: Ein Helm ist unerlässlich. Zum Schutz vor Schürfwunden reichen eine lange Hose und geschlossene Schuhe aus. Kinder- Fahrradhandschuhe schützen die Hände bei Stürzen und geben den Kleinen durch ihr cooles Aussehen gleichzeitig einen Motivationskick. Bitte keine Knie- oder Ellbogenschoner: Sie behindern mehr als dass sie nützen.

Fahrradhandschuhe sind cool und schützen gleichzeitig bei Stürzen vor Schürfwunden.

1 AUFSTEIGEN

Wer von Anfang an den tiefen Einstieg am Spielrad zum Aufsteigen benutzt, benötigt dabei keine Hilfe von den Eltern. Das gibt zusätzliche Sicherheit: Der Sattel sollte unbedingt so niedrig eingestellt sein, dass das Kind im Sitzen mit beiden Füßen flächig auf dem Boden stehen kann. Gut, wenn die Höhe des Lenkers eine möglichst aufrechte Sitzposition erlaubt, ohne dass die Knie beim Treten vorne anstoßen.

2 ANFAHREN

Der Übergang vom Stehen zum Fahren ist eine der schwierigsten Übungen. So klappt’s am besten: Mit beiden Füßen wie auf einem Laufrad Schwung geben; erst bei entsprechender Geschwindigkeit die Füße auf die Pedale setzen und kräftig mit dem Treten beginnen.

3 TRETEN

Wer kräftiger tritt, kann sein Gleichgewicht umso leichter ausbalancieren. Gut, wenn Mama oder Papa bei den ersten Fahrversuchen neben dem Rad laufen. Ist ihr Liebling noch wackelig unterwegs? Dann lässt sich das Gleichgewicht am besten mit dem „Karnickelgriff“ an Jacke oder Pulli unterstützen. Dieser schont den Rücken der Eltern besser als der Sattelgriff.

4 GERADEAUS SCHAUEN

Vorsicht: Richtet der Fahranfänger seine Aufmerksamkeit zu stark auf den Helfer, der neben dem Rad läuft, sind Stürze beinahe vorprogrammiert. So klappt der Blick nach vorne wie von selbst: Das Kind darf beim Üben auf eine zweite Person oder ein anderes optisches Ziel zufahren. Wichtig: Für die Kommentare der Eltern bleibt hinterher Zeit, wenn das Kind sicher zum Stehen gekommen ist.

5 STÜRZE ZULASSEN

Studien zufolge verringern vielfältige Bewegungserfahrungen die spätere Unfallgefahr um ein Vielfaches. Zu diesen Erfahrungen gehört auch das Hinfallen. Die richtige Reaktion der Eltern: Trösten und zum Weitermachen ermutigen. Kleine Blessuren lindert ein buntes Kinderpflaster. Und den Ehrgeiz erneuert ein Lob oder aber eine kleine Anekdote: „Auch der Papa ist sooo oft hingefallen, als er sein erstes Fahrrad bekommen hat ...“

6 BREMSEN

Die ersten Bremsversuche klappen am besten mit den Schuhsohlen. Vielleicht finden sich dazu ein paar abgetragene, geschlossene Schuhe im Schrank? Im zweiten Schritt sollte sich das Kind angewöhnen, mit der Handbremse zu bremsen. Zum Üben eignet sich dafür eine optische Markierung auf dem Boden, z. B. ein Pappkarton oder eine Spielpylone. Erst wenn das Treten und Lenken bereits automatisiert funktioniert, können Jungen und Mädchen an die kompliziertere Rücktrittbremse gewöhnt werden.

7 LOBEN

Geben Sie Ihrem Kind immer das Gefühl: Es ist schön, dass wir heute zusammen Spaß haben können. Denn: Zu viel Kritik und Ansporn verstärken nur den Erfolgsdruck. Und der kann bei Kindern leicht Versagensängste schüren. Geht dadurch der Spaß am Radfahren dauerhaft verloren, hat keiner in der Familie gewonnen. Besser, falls es noch nicht klappen will: Einfach mal abwarten – und dazu die Pedale abmontieren. So kann sich das Kind langsam an die Größe und Geometrie seines Spielrades gewöhnen ohne gleichzeitig treten und das Gleichgewicht halten zu müssen.

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